Tag 2 Auf nach Moskau

Geschrieben von Uwe

Tag 2 Regen in Warschau

Ich werde am Sonntag wieder viel zu zeitig wach. Als „früher Vogel“ wecken mich schon du ersten hellen stellen am ansonsten wolkenverhangenen Warschauer Himmel. Gegen sieben schreibe ich die ersten Grüße an die lieben daheim. Meine beiden Mitfahrer schlafen noch tief und fest.

Gegen neun können wir endlich frühstücken. Da wir im Hostel wohnen heißt es hier Kaffee selbst kochen und Toast selbst bräunen. Aber das alles beherrschen wir natürlich perfekt.

Beim Frühstück schnappen wir noch einen Tipp auf, wo es was zu sehen gibt in. Warschau. Ein Künstlerviertel am jenseitigen Ufer der Weichsel soll tolle Kneipen bieten und schöne Künstlercafés. Wir sind gespannt.

Zunächst müssen wir aber erstmal auschecken und unsere Rucksäcke am Bahnhof einschließen. Von da fahren wir ein Stück mit der U-Bahn, beschließen aber zeitig doch an der Oberfläche zu wandern und das Prager Viertel, zu Fuß zu erreichen. Das Wetter meint es heute nicht so gut mit uns. Es sind zwar nicht unangenehme 10 grad, aber der Dauerregen nervt ganz schön. An der Weichsel entlang soll eine schone Uferpromenade führen, die aber gerade neu gebaut wird. Wir schleichen uns durch den Bauzaun und laufen weiter. Zum Sonntag wird hier ja sicher niemand sein. Leider weit gefehlt. Aus einem Baucontainer kommt ein kräftiger Mann und fordert uns auf, umzukehren. Er hat anscheinend Angst, dass wir seinem Befehl nicht Folge leisten und begleitet uns zum Ausgang. Der gute Mann hat ein ganz schlechtes oder gar kein After Shave. Er riecht aus jeder Pore, als würde er nur diese Klamotten besitzen. In seinem Container würde ich es wahrscheinlich keine Minute aushalten.

Nun nehmen wir einen kleinen Umweg in Kauf und überqueren auf einer sehr lauten Ausfallstraße die Weichsel. Gleich dahinter beginnt das Prager Viertel. Wir erwarten etwas in der Art, wie die Südvorstadt in Leipzig oder die Dresdner Neustadt, es soll ja ein In-Viertel sein. Aber hier gibt es nur Spätstalinistische Plattenbauten aus den 60er Jahren. Kein Szeneviertel zu sehen auch unsere Karte kann uns da nicht viel weiterhelfen. Kein Restaurant, keine Kneipe. Einen schönen Park durchlaufen wir aber das Versprochene finden wir nicht. Wir beschließen irgendwann zurück in die Altstadt auf die andere Seite der Weichsel zu wechseln. Die kennen wir zwar schon aber von da ist es nicht so weit zum Bahnhof. Da müssen wir ja heute auch noch hin.

Am Ende landen wir in einer Gastwirtschaft unweit des Marktes. Zu angenehmen Preisen bekommen wir ein gutes spätes Mittagessen und das leckere polnische Bier. Wir merken gar nicht wie die Zeit verfliegt und trinken auch noch einen Verdauer. Langsam wird die Zeit knapp und wir beschließen zum Bahnhof ein Taxi zu nehmen. Auf die Minute kommen wir an, können noch schnell ein bisschen Proviant für die Fahrt kaufen und schon fährt auch der Zug ein. Wir haben ein dreier Schlafabteil gebucht. Es handelt sich im Prinzip um ein halbes Abteil mit 3 Betten übereinander. Sogar ein Waschbecken gehört dazu. Schnell setzt sich der Zug in Bewegung und wir verlassen den Warschauer Hauptbahnhof ihn Richtung Osten. 9 Stunden Fahrt und eine Stunde Zeitverschiebung liegen vor uns. Wir vertreiben uns die Zeit mit den mitgebrachten Leckereien aus dem Supermarkt. Bis zum letzten Bahnhof vor der weißrussischen Grenze geht es auch ziemlich zügig. Gegen 19 Uhr sind wir schon da. Dann kommen die polnischen Grenzbeamten und kontrollieren unsere Pässe. Das dauert natürlich seine Zeit. Der Bahnsteig ist eingezäunt und jeder, der zum Zug möchte, wird kontrolliert. Irgendwann rollen wir dann langsam durch das Niemandsland. An einer Station kommen die weißrussischen Grenzbeamten. Einer, wahrscheinlich der Chef, hat so eine wagenradgroße typisch russische Schirmmütze auf dem Kopf. Sieht echt klasse aus. Wir bekommen jeder ein kleines Blatt, auf dem wir unsere Daten und unser ein – und Ausreisedatum eintragen müssen. Dieses wird dahin in der Mitte zerrissen und wir bekommen die eine Hälfte und der Grenzer behält den Rest.

Irgendwann sind auch die Grenzer fertig und verlassen Zug. Jetzt kommt auf einmal Hektik auf. Frauen erstürmen den Zug, junge und alte und verteilen sich auf die Abteile. Auch bei uns setzt sich ein Mütterchen rein und verriegelt von innen die Tür. Wir sind vollkommen überrumpelt und wissen gar nicht so richtig was los ist. Sind das noch Grenzbeamten in zivil? Aber schnell klärt sich der wahre Grund des Besuches auf- Verkaufen. Die Damen bieten ihre Waren feil. Von der Flasche Wodka über Zigaretten und Süßigkeiten bis hin zu selbstgebackenen Köstlichkeiten, eingewickelt in Zeitungspapier. Wir kaufen ihr für wenige Euro eine Flasche Wodka ab und probieren die Blinis. Eine Art Quarkkeulchen. Kurz darauf verlässt uns die Dame und wechselt sich mit einer anderen ab und die wird uns die nächsten Stunden nicht mehr von der Seite weichen. Valentina heißt die gute Frau, die uns die ganze Zeit während des Fahrgestellwechsels am Zug unterhalten wird. Auch die verkauft uns eine Flasche Wodka und diverse Kleinigkeiten und nimmt sich auch gleich einen kleinen Schluck. Der Zug fährt mittlerweile in eine große Werkhalle ein und die Waggons werden alle abgekoppelt. Valentina erzählt mir in ihrer Muttersprache ihre Geschichte, erzählt von ihren Kindern und Enkeln. Sie hat keine Haare auf dem Kopf, nur eine Mütze. Offensichtlich hat sie eine Krankheit, was ihr trauriger Blick beim Erzählen bestätigt. Draußen in der Halle spielen sich mittlerweile auch spannende Sachen ab. Der Wagon wird von vier großen hydraulischen Hebern nach oben gehievt. Die Fahrgestelle mit der europäischen Spur werden abmontiert. Valentina bleibt im Abteil und wird ein wenig von Dennis unterhalten. Ich schaue mir die Halle an und stehe an der Wagon Tür. Ein Arbeiter meint ich könne ruhig springen, zumindest hoffe ich das und verlasse den Zug. Viele Menschen wuseln um den Zug herum. Es ist laut und riecht nach Maschinenöl und Schmiere. Immer höher wird der Waggon gehoben. Mittlerweile ist r nicht mehr zu erreichen. Aber wegfahren kann ja auch nicht also muss ich mir keine Sorgen machen. Martin steht oben auf dem Wagon und fotografiert. Ein Arbeiter lässt sich bereitwillig mit mir fotografieren. Meine letzten Russischkenntnisse aus der Schule reichen noch für eine Vorstellung. Как тебя зовут? Меия зовут Uwe.

Er heißt Viktor und schraubt an unseren Fahrgestellen herum. Die Konversation klappt erstaunlich gut, auch wenn ich kaum ein Wort verstehe.

Die Fahrgestelle werden alle unter dem Zug der nun schon seit einiger Zeit in der Luft schwebt, nach hinten weggezogen und gleichzeitig fahren von vorn die neuen Fahrgestelle drunter. Langsam wird der Zug wieder abgelassen. Viktor schenkt mir seine Mütze, will aber dafür offensichtlich etwas haben. Als wir ihm unseren Wodka anbieten winkt er ab, Macht aber seine Wasserflasche leer und füllt sich den Wodka da rein. Aber so richtig zufrieden ist er nicht und so schenkt ihm Martin noch seine letzten zehn Euro. Endlich können wir wieder in unseren Waggon. Eine gewisse Hektik macht sich unter den Arbeitern breit. Anscheinend geht es gleich weiter. Hoffentlich hat Viktor alle Schrauben wieder fest gezogen. Da Dennis auch mit draußen war, sitzt Valentina mittlerweile allein in unserem Abteil.

Aber sie ist mit ihrem Handy beschäftigt. Wir quatschen noch ein bisschen und ich muss ihre Quarkkeulchen und Kartoffelpuffer probieren. Wir tauschen uns über Rezepte für Kartoffelpuffer aus. Zumindest rede ich darüber. Wer weiß, was sie versteht. Später singen wir noch gemeinsam. Lieder aus meinen Kindertagen mit russischem Bezug. Für die Kenner unter Euch: Ьусвегда ьусвег сонце, Ьусвегда ьусвег нева, Ьусвегда… Endlich erreichen wir den Bahnhof von Brest, obwohl wir schon die ganze Zeit da sind. Die Zeit mit Valentina ist wie im Flug vergangen. Am Ende fragt sie natürlich ob wir ihr noch ein paar Euro geben können. Wenig später kommt ein Schaffner vorbei und jagt Valentina aus dem Zug. Martin fragt ein junges Mädchen aus dem Nachbar Abteil ob sie für uns in Englisch übersetzen kann, was Valentina auf dem Bahnsteig vor sich hin brabbelt. So beginnt für uns die nächste Geschichte. Bleibt gespannt.