04_Montag

Laut Matthias war es eine frische Nacht. In meinem Schlafsack ist davon nix angekommen. Guter Kauf! Unser Frühstück nehmen wir aufgrund von Nieselregen stehend unter einem Vordach auf dem Zeltplatz ein. Im Hintergrund zischt während des Kaffee Trinkens leise die neue Gaskartusche im Kocher. Leider am Brenner vorbei. Die neue Kartusche passt nicht zum Kocher…. 

Vom Holländer erfahre ich, wo es in der Nähe neue Gaskartuschen zu kaufen gibt. Für Uwes Schuhe kann ich etwas Montagekleber ergattern. Über 10 Jahre alte Stiefel sollen mittels diesen Klebers neues Leben eingehaucht bekommen. Die Hoffnung auf eine erfolgreiche Reparatur der Schuhe, und auch die Hoffnung auf eine neue Gaskartusche sind nur von kurzer Dauer. Uwes Schuhe müssen zwei große Kabelbinder zusammen halten und kochen kann von nun an nur noch Micha mit seinem Benzinkocher. 

Vor dem Start noch ein kurzer Blick auf die bevorstehende Strecke. Weiße Straße – das verspricht Abenteuer pur! Es steht noch ein kurzer Stopp im Nachbarort an. Im Postamt kaufen wir Briefmarken und suchen, wie gesagt ohne Erfolg, nach einer neuen Gaskartusche. Matthias nutzt diese Zeit und geht freiwillig zur Polizei. Er sammelt Polizeiabzeichen oder auch Aufnäher. Drei Polizisten sitzen ihm gegenüber, als er das Revier betritt. Ungläubige Blicke auf Matthias, der anhand seines Outfits eindeutig als Endurofahrer zu erkennen ist. Erst die Worte: „I’m a german policeman, I want to change…..“ und das zeigen seines Tauschaufnähers brechen das Eis. Der Vorgesetzte schickt seine Lakaien aus dem Büro. Kaum sind diese verschwunden, zückt er sein Messer und löst damit seinen Aufnäher von seiner Jacke! Der Tausch ist perfekt.  Kurz danach sitzen wir alle wieder auf den Motorrädern und können unsere Fahrt fortsetzen. 

Die vermeintlich weiße Straße ist bestens ausgebaut! Unten steht ein großes Schild mit Werbung der EU. Die Straße habe also auch ich bezahlt. Gut ist sie geworden, breit, steil und kurvig. Je weiter wir fahren, umso öfter sehen wir Bauarbeiter an der Straße. Mit einem Mal ist dann die Teerschicht vorbei. Es geht weiter über groben Schotter. Wieder einige hundert Meter später kommt eine Sandschicht. Mittlerweile ist die Breite der Straße von 10 auf 3 Meter geschrumpft. Wir befahren nun die Reste der alten „weißen Straße“. Etwas weiter noch und die Straße wird zu einem Wanderweg, wie man ihn aus Deutschland kennt. Hier ist wirklich alles dabei. Bei diesen Pisten gehen immer wieder bange Blicke immer zu Uwe. Aber die Sorge ist unbegründet, Uwe meistert alle Hürden mit seiner Straßenmaschine. 

Ein paar gute Tipps vom einzigen Endurofahrer Matthias helfen uns allen, mit der richtigen Fahrtechnik zu fahren. Wichtig ist eigentlich nur am Gas bleiben und im Schotter nie stehen bleiben. Ein wieder und wieder durchdrehendes und wackelndes Hinterrad schafft es, mir ein Dauergrinsen ins Gesicht zu zaubern.

Im Laufe des Tages geht es dann weiter Richtung Süden, vorbei an riesigen verwaisten Industriegebieten. An einer Tankstelle passiert dann die bei weitem unangenehmste Zusammenkunft mit einem Rumänen. Micha steht an der Zapfsäule und wartet auf den in Rumänien üblichen Tankwart, als ein alter Dacia in die Tankstelle einbiegt. Er fährt langsam auf Michas Tankplatz zu, bis er schließlich die GS touchiert. Wir denken noch an ein Versehen und kümmern uns nicht weiter darum. Eine halbe Minute später fährt der Rumäne wieder an! Wieder gegen das Motorrad, ich schreie nur laut „EHHHH“. Er stoppt noch mal kurz. Micha eilt zum Motorrad und zieht es zurück. Sofort setzt der Wahnsinnige nach. Beim Aussteigen wird klar was los ist, der Fahrer ist stinkbesoffen. Er kann sich kaum auf den Beinen halten. Die Lage ist kurz vorm Eskalieren, als uns der Typ auch noch dumm anquatscht. Ich bin froh, als er endlich seinen Haufen Rost von der Tankstelle entfernt.

Wir beruhigen uns mit Waffeln und Cola. Jetzt wieder sachlich auf die Tour konzentrieren! Wir entscheiden uns für einen kleinen Umweg von ca. 20km über ein Dorf und danach durch den Wald. Ab jetzt geht etwas los, was uns für den Rest des Urlaubs begleiten solle. Staub. Für mich als Motorrad Nr. 4 gibt es eine ganze Menge davon. Vor solchen „Straßen“ würde in Deutschland folgender Hinweis stehen: Baustelle Betreten verboten! Mir gefällt es. Die winkenden Dorfbewohnern bekommen von mir aber keine netten Gesten mehr zurück. Ich sehe überall nur den besoffenen Rumänen. Nicht ganz fair, aber ich finde die „Strafe“ gerecht.

Als sich die Straßen in Wald- und Feldwege verwandeln, sehen unsere Navigatoren alles andere als wissend aus. Nach mehrmaligem Wenden der Motorräder ergeben sich zwei Gruppen. Ich stehe streikend mit Matthias auf einem kleinen Hügel. Etwa 700 Meter entfernt steht Micha auf einer eingezäunten Weide. Uwe versucht seine CBF durch hin und her schaukeln über die Wiese zu bekommen. Beide Teams gestikulieren das andere Team zu sich ran. Um das Spiel zeitnah zu beenden fahren wir zu den „Weidejungs“. Wir diskutieren über den weiteren Weg und können die beiden zum Wenden überzeugen. Die Weide putzt Uwes Krümmer von unten und die Tour geht in die richtige Richtung weiter. Gleich folgen die ersten Flussdurchfahrten. Was ich dabei lerne: Langsam fahren erhöht die Wahrscheinlichkeit trocken zu bleiben erheblich! Auch ist eine langsame Flussquerung gut für die Motorradtechnik, insbesondere für den Luftfilter! Luftfilter und Technik blieben trocken.

Einige Flussdurchfahrten und Weggablungen kommen, wir entscheiden uns instinktiv für die richtige Richtung. Ein abschließender steiler Schotterpass bringt uns zurück in die „Zivilisation“. Straße kann ich diesen Untergrund zwar noch nicht nennen, aber es ist schon nah dran. Ein ausgewachsenes Schwein frisst gemütlich am Straßengraben, alte Bauerhäuser wechseln sich mit modernen Häusern und Hausbaustellen ab. Auf einmal ist wieder Asphalt unter meiner GS. Ich fahre auf gewohntem Asphalt, habe aber ein komisches Motorradgefühl. Habe ich schon verlernt auf festem Untergrund zu fahren? Klebt vielleicht Schlamm im Rad, oder eventuell ein Platten am Vorderrad? Ich gehe aus dem Sattel und blicke skeptisch über meinen Lenker. Alles in Ordnung. 

An der nächsten Kreuzung gibt es eine Navigatorenkonferenz. Ich nutze die Zeit und kontrollierte mein Bike. Meine Begeisterung über das Auffinden der Störquelle hält sich sehr in Grenzen. Platten am Hinterrad. Die letzten schönen Kilometer sind wie weg geblasen, es gibt nur noch dieses Problem. Mein Elektrotechniklehrer in der Meisterschule sagte immer: „Es gibt keine Probleme, nur Aufgaben!“ Also, das Problem ist gelöst und wir stehen ca. 1200km von zu Hause entfernt mit einer Aufgabe auf einer Dorfstraße. Etwa 20 Meter entfernt steht ein Rumäne der unser Treiben beobachtet. Matthias schließt sich mir an und wir gehen nach einem Vulkaniseur fragen. Der Kollege ist recht pfiffig und wir unterhalten uns mit Händen und Füßen. Das Ergebnis ist eher ernüchternd. Der nächste Vulkaniseur ist 10km entfernt und öffnet erst wieder, wenn die Sonne auf der anderen Seite steht.

Wir überlegen noch, was wir machen, da gibt uns der Rumäne zu verstehen, wir sollen das Motorrad in seinen Hof rollen. Mein Gefühl sagt mir, dass dies schon in Ordnung sein wird. Kaum steht die kranke GS auf dem Hof, geht ein wildes Treiben los. Innerhalb weniger Minuten ist das Hinterrad ausgebaut und zwei Rumänen machen sich daran, den Reifen abzuziehen. Ich stehe etwas neben mir und kann nur staunen, hoffen und Brot essen. Brot essen? Ja, wir sind anscheinend beim Bäcker des Dorfes gelandet. Die Bäckersfrauen bringen frisches Kartoffelbrot und erfreuen sich daran, dass es uns sichtlich mundet. Die zwei Reifenspezialisten rennen nun auf einmal mit meinem Rad über den Hof. Zögerlich folgen wir ihnen. Ich höre einen Dieselmotor starten und sehe, wie eine mittlere Landmaschine vorgefahren kommt. Schnell die Gabel abmontiert steht dieses graue Monster direkt vor meinem Rad. Damit soll nun das Reifenabziehen gelingen. Was am Anfang sehr abenteuerlich aussieht, entwickelt sich zu einer sauberen Sache. Der Schlauch ist draußen und kann mit handelsüblichem Fahrradflickzeug repariert werden. Meine Anspannung entweicht Stück für Stück. Als das Rad wieder eingesetzt ist, will ich mich mit 20€ für die gut geleistete Arbeit bedanken. Er weigert sich jedoch vehement mein Geld anzunehmen. Uwe hat noch eine clevere Idee. Er schaut in sein Wörterbuch und bestellt noch ein Brot zum mitnehmen. Dieses werden wir ja wohl bezahlen können, denken wir. Denkste! Geschenkt wird es uns. Die Rumänen stöbern mit Freunde im Wörterbuch von Uwe. Sie bestellen mit nettem Akzent „Einen Kaffee zum mitnehmen“ und andere Verse aus dem Reiseführer. Fast schon zur Familie gehörend, machen wir noch ein Abschiedsfoto und verlassen glücklich nach einer Stunde mit einem frischen Brot und ganzem Reifen den Hof. 

Die Sonne steht schon tief und so entscheiden wir uns für eine schicke Ferienwohnung. Diese stellt sich als absoluter Glücksgriff heraus. Lilli und ihr Mann umsorgen uns. Sie setzen sich abends noch etwas zu uns und geben gern etwas von Ihrem selbst gebrannten Palinka ab. Dazu etwas frisches Brot, besser kann es nicht sein.

Nach so einem Tag fällt das Einschlafen nicht schwer……